Rudolf Bahro – Bedingungsloses Grundeinkommen

Datum: 2019-10-20 07:49
Tags: Arbeiter, Kapitalismus, Sozialismus, Ausbeutung

Rudolf Bahro schreibt in seinem Buch [1] über Irrtümer in der Gesellschaftsgestaltung. Zum Beispiel der Irrtum, eine Idee, den Marxismus gegen oder ohne die Menschen umsetzen zu wollen, die da sind.

Deshalb sollten die Menschen zu sozialistischen Wesen »erzogen« werden. Und alle Interessen und Forderungen nach anderer oder »offener« Gesellschaftsgestaltung, wurden eliminiert.

Ein weiterer Irrtum, dem die Menschen ausgeliefert waren, betraf die Hierarchien unter uns Menschen. Die Marxisten glaubten, sie könnten den Unternehmer aus dem Gesellschaftsbild ausschließen und damit wären auch die Hierarchien und Abhängigkeiten ausgeschlossen.

Denn der Unternehmer im einzelnen Betrieb und in der Fabrik, wurde im Sozialismus durch den Betriebsleiter und Vorgesetzten ersetzt. Und gegenüber diesem bestand weiter eine Abhängigkeit als einfacher Arbeiter. – So, wie sie gegenüber dem Unternehmer im Kapitalismus bestand.

Außerdem wurde mit dem Sozialismus nicht die Klassengesellschaft überwunden.

Bahro weist in seinem Buch darauf hin, wie Klassen überhaupt entstehen. Klassen sind Ergebnis der Arbeitsteilung. Die einfachste Form von Arbeitsteilung ist die, der Handarbeit und Kopfarbeit. – Diese wird nicht im Sozialismus überwunden.

Deshalb gibt es im Sozialismus weiterhin Klassen. »Klassen« bedeutet, dass Leute in hierarchischen Verhältnissen zueinander stehen. Die einen sind den anderen übergeordnet. Zum Beispiel der Chef oder Bereichsleiter (Büroleute, Kopfarbeiter) steht über dem einfachen Mitarbeiter (Handarbeiter, Maschinenbediener, Putzleute).

Der Autor schreibt, dass die Idee nur mit großer Gewalt gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden konnte. Insbesondere im Ursprungsland des Sozialismus, Russland. Die sozialistischen Länder hatten keine eigene Identität entwickelt, sondern sahen sich immer »im Wettbewerb« mit dem Westen. Sei es militärisch oder beim Lebensstandard.

Bahro schreibt, dass die Klassengesellschaft nur überwunden wird, wenn die Arbeitsteilung überwunden wird. - Denn sie ist Grundlage der Klassengesellschaft.

Wird die Arbeitsteilung überwunden? Eher nicht. Deshalb bleiben die Klassen.

Aber sie müssen zu keinen Spannungen unter den Menschen führen. Es hängt davon ab, wie wir miteinander umgehen. Gehen wir fair und korrekt miteinander um, brauchen wir die Klassen nicht zu fürchten oder sie bekämpfen.

Der Sozialismus entstand in Reaktion auf die Ausbeutungserfahrungen im Frühkapitalismus. Es sollte besser werden. Die Arbeiter sollten »in Würde« leben können und nicht ausgebeutet werden und faire Bezahlung erfahren.

Wenn heute Unternehmer die Unternehmenskultur anpassen, ein anderes Selbstverständnis für ihr Unterfangen entwickeln, die Arbeit mehr als Projekt darstellen und alle Mitwirkenden so ansprechen, dass sie »auf Augenhöhe« sich empfinden, dann existiert die Klassengesellschaft gar nicht. Dann ist sie ein Hirngespinst oder Erinnerung an frühere Zeiten.

Die Klassengesellschaft wird aufgehoben, wenn der Programmierer, der im Büro am Bildschirm sitzt und der Putzmann, der die Tische und den Fußboden sauber putzt, sich beide respektvoll behandeln und erkennen, dass sie beide zum Funktionieren des Projektes beitragen, jeder auf seine Weise.

Beiden steht ein respektvoller Umgang zu.

Möglicherweise ist die Klassengesellschaft ein Popanz. Sie existiert nur, wenn wir uns bestimmte Beziehungen zueinander vorstellen. Wenn wir uns aber gleichwertig behandeln, existiert sie gar nicht, trotz weiterhin bestehender Arbeitsteilung.

Wenn wir dann noch das Bedingungslose Grundeinkommen hinzunehmen, verliert die Klassengesellschaft vollends ihren Schrecken. - Denn die Abhängigkeit innerhalb der Klassen, war ja immer eine existenzielle.

Dem Vorgesetzten musste sich der Untergeordnete fügen, damit er seinen Job behält und damit sein Einkommen. Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen wird dieser Kontext durchbrochen. Und die Abhängigkeit besteht nicht mehr.

Rudolf Bahro weist in seinem Buch darauf hin, dass die Ausbeutung, welcher der Arbeiter entfliehen wollte, indem er dem Sozialismus beitritt, fortbestand. - Nur statt des Unternehmers beutete ihn jetzt der Staat aus.

Denn Anweisungen, was und wie viel er arbeiten solle, bekam er ja weiterhin, auch im Sozialismus. Nur waren es nicht mehr die Unternehmer, die ihm diese Vorgaben machten, sondern die Funktionäre und Beamte im sozialistischen Staatsapparat.

Und wenn wir heute ein »Solidarisches Grundeinkommen« vorgesetzt bekommen, bei dem der Staat den Bürgern Arbeit anbieten will, zu der die Bürger verpflichtet seien, wenn sie leben wollen, dann atmet dieses Unterfangen den Geist des Sozialismus.

Auch im Arbeiter- und Bauernstaat wurde die Arbeiterklasse weiterhin regiert und regierte nicht selbst. Es war die Partei und der Staat, die mit verhältnismäßig wenigem Personal die übrige Bevölkerung dirigierten.

Wie wäre es denn besser?

Der Einheitsstaat, der alles dirigistisch lenkt, mischt sich letztlich immer in alle Lebensbereiche ein, auch dann, wenn er sachlich gar keine Ahnung hat, von den Aufgaben und Arbeitsfeldern. Deshalb ist die Selbstvewaltung in allen Bereichen, der richtige Ansatz.

Die Aufgabe des Staates ist es, die Rahmenbedingungen für das gesamte Gemeinwesen zu organisieren, sodass alle frei darin sind, ihre Bereiche in Eigenständigkeit zu regeln. Der Staat muss in erster Linie die Grundrechte achten, schützen und aktiv verteidigen.

Genau das tut der Staat heute nicht. - Er agiert vielmehr als Interessenorganisation in Konkurrenz zu anderen Lebensbereichen um Ressourcen und die Verwalter in ihm, haben egoistische oder parteiische Absichten im Blick, statt für ein Funktionieren aller Lebensbereiche sich neutral und ausgleichend im Hintergrund zu platzieren.

Das Bedingungslose Grundeinkommen ist im Interesse der Bevölkerung. Es wird nicht über Parteien realisiert, sondern durch die Bürgerinnen und Bürger. - Und die Parteien haken sich da mit ein. Falls sie überhaupt noch eine Rolle spielen.

Und natürlich es ist möglich zu sagen, die Klassengesellschaft wird überwunden, wenn die Arbeitsteilung überwunden wird. – Dann bedeutet es, dass unser Zusammenwirken in der Menschheit »organisch« geschieht. Dann wirken wir zusammen, indem wir die Unterschiede unter uns akzeptieren und wir uns gleichzeitig respektvoll behandeln. Und wir geben unser Wissen weiter, an die Mitmenschen, statt es verkaufen zu wollen.

Einen Einstieg in einen respektvollen Umgang miteinander, können wir beginnen, wenn wir die Existenzsicherung eines jeden Menschen nicht an einen Arbeitszwang koppeln. Der Arbeitszwang muss weg. Das müssen wir einsehen.

Deswegen hat das Bedingungslose Grundeinkommen so viel mit Menschenwürde zu tun.


[1] Rudolf Bahro – Die Alternative, 1977


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